Institutsgeschichte

An dieser Stelle finden sich zwei Beiträge zu Hintergründen über die Geschichte des August Bebel Instituts.

Reinhard Gericke (1939–2000) über das August Bebel Institut:

»In den ersten Jahren nach seiner Gründung residierte das August-Bebel-Institut im Haus am Grossen Wannsee, wo mehrtägige Schulungen für SPD-Mitglieder abgehalten wurden.

Bei den ersten Gesamtberliner Wahlen nach dem Krieg im Oktober 1946 konnte die SPD einen eindeutigen Sieg verbuchen. Sie erzielte in den Westsektoren 51,6 %, in den Ostsektoren 43,6 % und lag dort weit vor der SED (29,9%).

Das bedeutete die Übernahme von Führungsverantwortung in fast allen der 20 Berliner Bezirke und sehr viele Mandate in den Bezirksversammlungen und Bezirksämtern. Die SPD hatte zwar auch einen erheblichen Mitgliederzuwachs zu verzeichnen – sie hatte 1948 mehr als 50.000 Mitglieder – zum größten Teil waren diese neuen Mitglieder aber aus Bevölkerungskreisen zur SPD gekommen, denen sozialdemokratische Traditionen und Grundwerte bisher fremd gewesen waren. Dies galt im besonderen für jüngere Menschen. Die Frage der Qualifizierung für die Arbeit in den kommunalen Gremien der Partei und anderer Organisationen wurde immer drängender.

So wurde am 25. März 1947 das August-Bebel-Institut gegründet. Seine zunächst einzige Aufgabe war die Schulung von Funktionären. Gründer der gemeinnützigen Stiftung waren vier sozialdemokratische Verlage, für die 5 Persönlichkeiten standen.

Auch heute noch sind von diesen in Erinnerung: Erich Leczinsky, der Begründer des Spandauer Volksblatts, Arno Scholz, der Herausgeber des Telegraf und Dr. Otto Suhr, damals Vorsteher der Stadtverordnetenversammlung und späterer Regierender Bürgermeister. Die August-Bebel-Schule im Haus am Großen Wannsee wurde kurz darauf eröffnet. In der Villa, die heute Gedenkstätte ist, hatte die Elite des SS-Staates 1942 die »Endlösung der Judenfrage« beschlossen. Diese Vorgeschichte des Gebäudes war 1947 zwar bekannt, aber nicht im Bewußtsein. Das Haus war, im amerikanischen Sektor gelegen, seit 1945 von der amerikanischen Besatzungsmacht genutzt worden und wurde dem ABI zu äußerst günstigen Konditionen zur Verfügung gestellt.

Das ABI beginnt sofort mit der Schulungsarbeit, die im Internatsbetrieb durchgeführt wird. Die Teilnehmer kommen für 5 Tage aus der zerstörten Stadt in das Schulungsheim, wo für Verpflegung und Unterkunft gesorgt ist. Wichtig ist, daß die Teilnehmer ihre Lebensmittelkartenabschnitte mitbringen. Ansonsten ist der Aufenthalt spottbillig.

Erwähnt wird immer wieder die angenehme Atmosphäre des Arbeitens in dem schönen Haus mitten im Grünen: ein Erlebnis für alle, die so einmal aus dem städtischen Ruinenfeld entweichen können. Auf dem Lehrplan stehen »Marxismus als Methode«, Geschichte, Wirtschaft, Demokratie und Totalitarismus und Parteienlehre. Es werden Sonderkurse zur Geschichte der Arbeiterbewegung, zu philosophischen Themen oder zum Thema Bolschewismus angeboten, sowie Frauenkurse und Rednerkurse. Die Liste der Lehrer jener Zeit verzeichnet große Namen, die Prominentesten seien genannt: Prof. Otto Suhr, Prof. Ernst Reuter und Prof. Carlo Schmid. Es wird beklagt, daß 5-Tages-Kurse, aber auch 12-Tages-Kurse noch zu kurz seien, später versucht man sich an Monatskursen. Die Rekrutierung der Teilnehmer ist zunächst kein Problem: die Institutsleitung kann sogar auswählen. Besonders intensiv ist der Besuch von Genossen aus den Ostbezirken.

Die Währungsreform bedeutet eine Zäsur für die Arbeit im Wannseeheim. Das Institut gerät aufgrund völlig neuer Konstellationen in eine Krise, die schließlich Anfang 1952 zur Aufgabe des Internatsbetriebs führt. Den Stiftern geht das Geld aus, die Verlage können keine Mittel mehr für das ABI abzweigen. Die Bevölkerung macht sich ans Geldverdienen und kauft viel weniger Zeitungen.

Auch läßt das Interesse der Funktionäre an Schulungen nach. Die von der Berliner SPD kreierten Bildungsfondsmarken, pro Quartal 0,60 DM, werden nur von etwa 50 % der Mitglieder erworben. Sie sollten für den Lohnausfall einen Ausgleich für die Teilnehmer finanzieren. Zunächst helfen amerikanische Stellen aus. Doch auch diese Quelle versiegt schnell. Die 6.000 DM für die laufenden Monatskosten für das Haus lassen sich nicht mehr zusammenkratzen. Man versucht die Öffnung für andere Nutzer, auch für bundesweite Schulungen. Die Hoffnung zerschlägt sich. Angebote an SPD und Gewerkschaften werden von diesen nicht angenommen. Der Grund vor allem: die Reisekosten, wohl aber auch die Schikanen auf den Transitwegen. Angesichts der hohen und wachsenden Arbeitslosigkeit wagen es Arbeitsplatzbesitzer nicht mehr, sich für 1 bis 2 Wochen für politische Bildung vom Arbeitsplatz beurlauben zu lassen. Auch Arbeitslose lassen sich für die Kurse nicht gewinnen. Zeit haben sie wohl, aber die Motivation?

Die Nachfrage läßt also nach, kostendeckendes Wirtschaften ist nicht mehr möglich, Zuschüsse fließen nicht mehr. So wird die Entscheidung unausweichlich, das schöne Haus aufzugeben und auf Internatskurse ganz zu verzichten. Das Mobiliar wird an den Nutzungsnachfolger für ganze 15.000 DM veräußert. Das Bezirksamt Neukölln richtet ein Schullandheim ein. Das ABI zieht zum Parteivorstand in die Schöneberger Ziethenstraße und versucht sich an Abendkursen. So endet die Erfolgsstory der ersten Jahre, an die erst wieder 1989 angeknüpft werden kann.«

Reinhard Wenzel (Geschäftsführer) über das Institut:

Das August Bebel Institut – Erfahrungen aus 75 Jahren Bildung für Demokratie

»Dramatisch waren die Ereignisse, als im April 1946 die SED gegründet wurde. Im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands und im von den vier Alliierten gemeinsam verwalteten Berlin vereinigten sich Kommunisten und Sozialdemokraten auf Druck der sowjetischen Besatzer zu einer Einheitspartei. Eine wirkliche Diskussion darüber fand nicht statt. So kam es im Vorfeld nur in den Westzonen Berlins zu einer Urabstimmung der SPD-Mitglieder. Diese lehnten die sofortige Vereinigung mit der KPD mit großer Mehrheit ab. Im noch ungeteilten Berlin existierten nun eine SPD und eine SED. Die im Oktober 1946 angesetzten Wahlen sollten Klarheit über die Machtverhältnisse in der Stadt bringen. Die SED erwartete einen großen Sieg, gerade gegen die »Abweichler«, die überwiegend in den West-Berliner Bezirken beheimatet waren. Das Ergebnis der Wahl war für die SED ernüchternd. Die SPD errang fast die absolute Mehrheit, die SED kam mit knapp 20 Prozent nach der CDU nur auf den dritten Platz.

Als Konsequenz dieser historischen Niederlage erklärte der aus der SPD stammende Co-Vorsitzende der SED Otto Grotewohl, man müsse im Jahr 1947 eine umfassende Schulungskampagne organisieren. Diese Ansage blieb in den Westsektoren nicht ungehört. Auch die Sozialdemokratie kümmerte sich um ihre Bildungsarbeit. Vier Verlage, zu denen Der Telegraf, das Spandauer Volksblatt, der Sozialdemokrat und Das Sozialistische Jahrhundert mit Otto Suhr gehörten, gründeten eine Stiftung, die eine Art sozialdemokratische Parteischule betreiben sollte. So kam es 1947 zur Gründung des Instituts für soziale Demokratie und des mit ihm verbundenen August Bebel Instituts (ABI). Als Bildungsstätte wurde dem Institut in den ersten Jahren das Haus der Wannseekonferenz zur Verfügung gestellt.

Damit war auch festgelegt, was zu diesem Zeitpunkt Demokratiebildung bedeutete. Es ging um die Abgrenzung vom als demokratiefeindlich betrachteten Sowjetsystem und es ging um die Schulung neuer Mandatsträger*innen für die Berliner Stadtverordnetenversammlung und die Bezirksgremien.

Eine wichtige Teilnehmergruppe bildeten dabei Sozialdemokraten aus dem Ostsektor. Bis zum Mauerbau 1961 existierte auch hier eine SPD, die zunächst auch Mandatsträger stellte. So gehörten Ende 1946 alle Ost-Berliner Bezirksbürgermeister*innen der SPD an. Gerade sie fanden im ABI einen Ort der freien Bildung.

Der langjährige Geschäftsführer Eberhard Hesse (er war von 1947 bis 1974 Leiter des ABI) hatte einschlägige Erfahrungen mit dem, was damals als »totalitäre Systeme« bezeichnet wurde. Als Funktionär der Sozialistischen Arbeiterjugend und Mitglied der Widerstandsgruppe »Neu Beginnen« setzte er sich bis 1933 für die Einheitsfront der Arbeiterparteien ein. Der stalinistische Terror in der Sowjetunion während der 1930er Jahre bewirkte aber, dass Hesse und seine Mitstreiter sich zu überzeugten Antistalinisten wandelten. Demokratiebildung war in den frühen Jahren des ABI gleichzusetzen mit Antikommunismus. Im Winter 1948/49 gehörte ein Seminar zur »Geschichte des Bolschewismus« zum Programm.

Das Bildungsangebot um 1950 war dem unserer Tage in vielem nicht unähnlich. Methodenseminare wechselten mit historischen, kommunalpolitischen und allgemeinpolitischen Veranstaltungen ab. Dazu gehörten Verkehr, Stadtentwicklung, öffentliche Haushalte, auch einmal »Die Rolle der Frau« und überraschend viele Veranstaltungen über Psychologie. Der große Unterschied zu heute war, dass – auch begünstigt durch das große Haus – in der Regel Wochenseminare durchgeführt wurden, Rednerkurse auch zweiwöchig. Im Mai 1951 wurden die Ziele folgendermaßen formuliert: »Die Heranbildung des deutschen Volkes zu einem Volk selbstbewusster demokratischer Staatsbürger ist für den Sozialismus ebenso notwendig wie für die Demokratie.«1

Das ABI musste aus finanziellen Gründen Anfang der 1950er Jahre in die Berliner SPD-Zentrale umziehen. Seine Bedeutung ließ erheblich nach. Für das Selbstverständnis des Instituts ist seither wesentlich, dass es keine Parteiveranstaltungen durchführen darf und grundsätzlich für alle interessierten Menschen offen ist. Das Spannungsverhältnis zwischen sozialdemokratischen Werten, dem System öffentlicher Förderung, Parteiferne und gesellschaftlicher Offenheit ist sehr kompliziert.

Demokratieverständnis, Methoden und Inhalte der Bildungsarbeit haben sich im Laufe der Jahrzehnte verändert. Am besten wird das Selbstverständnis des ABI mit dem Begriff »Engagementförderung« erfasst. Ein wichtiges Angebot in diesem Zusammenhang ist heute der Tagesworkshop »Motiviert in die Politik einsteigen«. Zielgruppe sind Menschen, die vor kurzem in eine Partei eingetreten sind oder sich anderweitig engagieren. Sie haben hier Gelegenheit, erste Erfahrungen auszutauschen, Strukturen der Politik kennenzulernen und erhalten Hinweise, wie sie sich für ihre eigenen Anliegen Gehör verschaffen können. Zu einem Gespräch eingeladene Politiker*innen geben einen Einblick, wie sie zur Politik bzw. zu dem Mandat (z. B. als Bundestagsabgeordnete*r) gekommen sind.

Die Demokratiebildung bekam eine neue Qualität mit der Öffnung von Fernsehen und Rundfunk für private Anbieter im Jahr 1984. Im Mediengesetz war festgelegt, dass es außer kommerziellen Sendern auch Sendezeiten für die allgemeine Beteiligung an den Medien geben musste. So entstand der Offene Kanal Berlin, 1987 begann der linke Sender Radio 100, der sich die Frequenz mit dem konservativen 100,6 teilen musste. Das ABI sah sogleich die Chance, in Rundfunk und Fernsehen sozialdemokratische Inhalte zu verbreiten. Als 1986 das Programm »Hör1« auf Sendung ging, produzierte das ABI alle zwei Wochen einen 15-minütigen Beitrag. Dort wurde über die Arbeit bezirklicher Frauenbeauftragter, den Arbeitskreis Neue Erziehung, aber auch über die Urabstimmung der Berliner SPD 1946 oder den aktuellen SPD-Bundesparteitag berichtet.

Bildungseinrichtungen wie das ABI erlangten 1990 eine große Bedeutung, als die deutsche Einheit es erforderlich machte, die Menschen aus der DDR in die Strukturen westdeutscher bzw. West-Berliner Politik einzuführen. Wie immer ging es darum, die interessierten Menschen zu erreichen, aber auch darum, Mandatsträger*innen auf ihre Aufgaben vorzubereiten. Mit den geringen Mitteln des Instituts wurde viel erreicht.

Der wirtschaftliche Absturz im Osten Berlins nach 1990 führte dazu, dass viele Menschen schon mit ca. 60 Jahren ihr Erwerbsleben aufgeben mussten. Um ihnen bei ihrer Suche nach Orientierung und Lebenssinn zu helfen, bildeten sich Vereine wie »Selbst-Hilfe im Vor-Ruhestand e.V.«2. Der Verein baute Dutzende Gruppen mit Hunderten von Seniorinnen und Senioren auf, die sich dort biografisch neu orientieren konnten. Das ABI führte ab 1993 über 25 Jahre Mehrtagesseminare mit Mitgliedern des Vereins durch, die sich mit allgemeinpolitischen Themen wie dem Euro oder Biopolitik, aber auch viel mit »Wohnen im Alter« oder »Zukunft der Pflege« befassten.

Das größte Projekt mit Schüler*innen wurde um das Jahr 2000 gemeinsam mit dem »Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold«, der ehemaligen Republikschutzorganisation der Weimarer Zeit und dem damaligen Vorsitzenden Hans Bonkas realisiert. Zehn Jahre lang begegneten sich Schulklassen aus Ost und West in Berlin, um gemeinsam deutsche Geschichte und aktuelle Politik zu erkunden. An den Seminaren nahmen in der Regel etwa 60 Schüler*innen teil. Es waren meist Abiturient*innen von denen die westliche Hälfte meist aus Hessen kam, die östliche aus Erfurt, Königs Wusterhausen und anderen Orten. Nach einer Einführung am Sonntagabend standen bis Donnerstagvormittag zehn Exkursionen zu Orten der Geschichte und Demokratie auf dem Programm. Es gab Besuche der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, dem ehemaligen Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen, dem Haus der Wannseekonferenz, dem Holocaust-Mahnmal, Termine zur aktuellen Politik im Reichstag, bei Parteizentralen sowie Zeitzeug*innengespräche unter anderem mit Hans Koschnik und Annemarie Renger. Im Bundesrat konnten die Schüler*innen im Rahmen eines Rollenspiels eine Sitzung durchführen und sich dabei aktiv mit der Arbeitsweise der Ländervertretung vertraut machen.3

Nach einer solchen Woche konnte im Schulunterricht auf ein wesentlich anderes Vorwissen zu Zeitgeschichte und Politik angeknüpft werden.

Vor 15 Jahren begann das ABI, sich der Vielfalt der Menschen in Berlin zuzuwenden und mehr Menschen aus migrantischen Zusammenhängen in die Bildungsarbeit einzubeziehen. Es entstand eine vielfältige Bildungsarbeit, die sich mit der Problematik kolonialer Straßennamen, dem Anteil von Migrant*innen an der Geschichte der Arbeiterbewegung, aber auch der Frage, wie Migrant*innen und BPoC mehr und leichter Zugang zur Berliner Politik bekommen können, befasst.

Gleichzeitig übernahm das ABI im Kurt-Schumacher-Haus einen Raum als Galerie, in dem mittlerweile über 50 Ausstellungen gezeigt wurden. In der Regel handelt es sich um Kunstausstellungen, die Anlass zu politischen und historischen Debatten geben. Eine Ausstellung über »Lebers Kohlenhandlung« stellte die Lebenswege von Annedore und Julius Leber dar, ihre Politik und ihren Widerstand gegen den Nationalsozialismus, griff aber auch die aktuellen Debatten um einen Lern- Gedenkort in Berlin-Schöneberg auf. Eine Ausstellung »Ist das Barock oder kann das weg?« zeigte Fotos einer Potsdamer Kurator*innengruppe, die den Umgang mit der DDR-Moderne in der Potsdamer Innenstadt kritisierte. Daran ließen sich auch Diskussionen über die Entwicklung der Berliner Innenstadt und die Beteiligung der Bürgerinnen knüpfen.

Im Zusammenhang mit einem Stück des Grips-Theaters »1848 – die Geschichte von Jette und Frieder« nach einem Roman von Klaus Kordon begann im ABI die Auseinandersetzung und Konzeptionsentwicklung im Hinblick auf die Märzrevolution in Berlin 1848. Gemeinsam mit dem Grips-Theater wurden Schüler*innenworkshops durchgeführt, die das Stück begleiteten und die Grundlage für ein Pocket-Heft zur Revolution bildeten.4 Das Heft verbindet historische Darstellungen mit kreativen Methoden der Bildungsarbeit. Langfristig etabliert haben sich neben dem Angebot von Stadtführungen zur Revolution 1848 Schüler*innenworkshops mit dem Titel »Wofür würdest Du auf die Straße gehen?« Die Workshops finden mit und auf dem Friedhof der Märzgefallenen statt.5 Bisher wurden sie ausschließlich für Schulklassen angeboten. Im Rahmen eines Tagesseminars wurde zunächst der Friedhof der Märzgefallenen erkundet, Biografien einiger Beteiligter aufgearbeitet und deren mögliche Forderungen (z.B. von Jugendlichen, Frauen oder Studierenden dieser Zeit) formuliert. Anschließend ging es darum, welche Forderungen die Jugendlichen heute stellen würden und wie sie umzusetzen sind. Dazu wurden am Nachmittag kreative Workshops, teilweise mit Theaterpädagog*innen durchgeführt, in denen gelernt werden konnte, wie eine Petition gemacht wird, wie eine Demonstration organisiert wird oder wie man seine Forderungen an einen Abgeordneten oder in einer Partei vorbringen kann.

Ein anderes langfristiges Projekt des Instituts sind die »Schüler*innen-Dialoge – Begegnungsworkshops ‚Meine Stadt – Angekommen in Berlin‘«. Theaterpädagog*innen führen seit über zehn Jahren zweitätige Workshops mit Schulklassen durch, die sich auf neutralem Boden begegnen und kennenlernen können. Zunächst handelte es sich um Schulklassen aus West- und Ost-Berlin. Mittlerweile werden Willkommensklassen einbezogen und Fluchterfahrungen erörtert. Diese Veranstaltungen finden, soweit keine Pandemie dazwischen kommt, meist sechsmal pro Jahr statt.

Die Coronapandemie stellte das Institut seit 2020 vor ganz neue Herausforderungen. Ein großer Teil der Bildungsarbeit musste im Rahmen von Online-Veranstaltungen durchgeführt werden. Das bot die Möglichkeit für Menschen, die sonst wegen mangelnder Mobilität an der Teilnahme gehindert waren, Angebote wahrzunehmen. Andere blieben deshalb Veranstaltungen fern. Die Verbindung von digitalen und Präsenzveranstaltungen wird in der politischen Bildung eine zunehmende Rolle spielen.

Während der Pandemie wurden im September 2021 der Deutsche Bundestag, aber auch das Berliner Abgeordnetenhaus und die Bezirksverordnetenversammlungen neu gewählt. Das ABI gab Interessierten die Gelegenheit, sich auf die Wahlen inhaltlich und methodisch vorzubereiten. Themen wie Mietenpolitik wurden mit Politker*innen und Aktivist*innen diskutiert. Wahlprogramme verschiedener Parteien zu Themen wie Klimaschutz und Kleingartenpolitik wurden von Praktiker*innen kommentiert. Eine Reihe von Veranstaltungen behandelte die Frage, wie Wahlkampf im digitalen Bereich effektiv organisiert werden kann, wie soziale Netzwerke sinnvoll genutzt werden können. Nach der Wahl lud der Workshop »Den Bezirk gestalten – Einführung in die BVV« dazu ein, grundlegende Kenntnisse über die Bezirkspolitik zu erwerben und mit Verantwortlichen in Bezirken über die praktische Arbeit ins Gespräch zu kommen.

Da viele Menschen nicht den Weg in das Institut finden, es aber auch wichtig ist, eine Vorstellung des aktuellen Engagements zu haben, gewinnt die aufsuchende Bildungsarbeit immer mehr Raum. Seit Jahren erarbeitet das Institut gemeinsam mit einer Psychosozialen Begegnungsstätte Stadtführungen durch den »Roten Wedding«; die Aktivitäten im Sprengelhaus zur Erforschung kolonialer Straßennamen und Klimaschutz im Kiez werden aktiv begleitet. Gerade begonnen hat eine Initiative gemeinsam mit der Friedrich-Ebert-Stiftung, die Politische Bildung in Marzahn-Hellersdorf zu verstärken. Dort wird die Vermittlung von Möglichkeiten politischer Beteiligung im Vordergrund stehen. Bedeutsam ist dort auch die russischsprachige Bevölkerung.

Die Beschreibung der Erfahrungen von Demokratiepädagogik kann nur exemplarisch bleiben. Sie erfasst natürlich nicht die vielen Veranstaltungen und Projekte, die nicht im engeren Sinne mit demokratischer Beteiligung befasst sind. Viele Veranstaltungen dienen der Sensibilisierung gegenüber Männlichkeit, Rassismus oder feministischen Bewegungen in Mexiko beispielsweise. Regelmäßig wird über Entwicklungen und Wahlen in Myanmar, Frankreich, USA, Russland und vielen anderen Weltregionen diskutiert. Es wäre noch so viel zu berichten …

Der Erfolg all dieser Bemühungen ist nicht messbar. Die Arbeit des Instituts ist aber – wie die vieler anderer Einrichtungen – nicht zu ersetzen, weil die Demokratie ohne politische Bildung keine Zukunft hat. Das gilt im 21. Jahrhundert wie im Jahr 1947.«

1 Bebel Brief Berlin Nr. 1, Informationsblatt des ABI, Mai 1951.

2 http://www.sh-vor-ruhestand.de/

3 https://www.bundesrat.de/DE/service/besuch/schueler/schueler-node.html#doc4352716bodyText3

4 Klaus Kordon: 1848 ¬– Die Geschichte von Jette und Frieder, Weinheim/Basel 1997

5 http://www.friedhof-der-maerzgefallenen.de/